Rainer E. Rühl – ein Künstler, der mit seinen gebundenen Skulpturen fesselt und berührt

Von Beruf ist Rainer E. Rühl Grafikdesigner. Kreativität ist aus seinem Leben nicht wegzudenken. Seit einigen Jahren macht er sich zunehmend einen Namen als Künstler von besonderen Skulpturen. Das Wonnegauer Magazin hat ihn in Alsheim besucht und interviewt.

Was schaffen Sie und wo kann man es bewundern?

Mich reizt die Kombination von verschiedenen Materialien. Relativ schnell bin ich für mich auf die Kombination gekommen, wo ich mit Textilien, PU-Schaum und Textilhärter Figuren mache, die man angeblich so noch nicht so oft gesehen hat. Ich habe den Anspruch es nicht als Hobby zu machen. Natürlich ist es mehr, aber es ist noch nichts, wovon ich allein leben kann. Ich lebe vom Grafikdesign, Illustrationen und Buchgestaltung.

Ich bin ganz glücklich, dass ich eine Galerie in Osnabrück gefunden habe, die kleinere Arbeiten von mir verkauft. Diese ist nicht groß. Sie setzen aber auf Vielfalt und nehmen daher lieber Arbeiten von maximal 60 cm bis 1 m. Was aber Spaß macht, sind die großen Sachen. Mein letztes habe ich gerade heute ausgemessen, da ich ab 17. März bis 10. April eine Ausstellung im Eisenturm in Mainz haben darf, zusammen mit zwei anderen Künstlern. Die größte Arbeit ist jetzt 1,90 m hoch. Seit einigen Jahren bin ich auch bei den Ausstellungen des Bürstädter Künstler Vereins dabei. Vom ersten bis zum dritten Preis war alles drin – im Bereich Skulptur. Das ist auch eine Anerkennung, da es nicht die Vereinsmitglieder sind, die das prämieren, sondern eine externe Jury von Sachverständigen.

Warum Skulpturen?

Eigentlich komme ich beruflich von den Zeichnungen. Skulptur hat irgendwann geklickt, als ein Freund bei uns im Garten für mich und andere Freunde einen Workshop angeboten hat. Damals haben wir alle kräftig auf Sandstein herumgekloppt. Das Dreidimensionale hat plötzlich so einen Spaß gemacht. Allerdings habe ich schnell festgestellt, dass die Steinbearbeitung langwierig ist und ich dafür zu ungeduldig bin. Daher ist alles, was mit Modelliermassen und Ton zu tun hat und ich schneller zum Ziel komme, spannender. Nach einem Workshop in 2017 bei der Bildhauerin Sieglinde Gros in Michelstadt, wo ich zum Thema Holz einiges gelernt habe, sind auch einige Sachen mit Holz entstanden. Manche sind Bestandteile von Skulpturen, die jetzt eine Rolle spielen. Andere Teile sind für mich selbst, um zu sehen: Bin ich in der Lage, Figuren aus Holz zu schlagen? Bei der Riesenskulptur ist der Sockel aus Holz, aus dem fünf Figuren rausgehauen sind. Darauf thront dann eine in Mixed-Media-Technik. So in der Form könnte ich mir weiterhin vorstellen, mit Holz zu arbeiten. Das macht auf jeden Fall Spaß. Das Dreidimensionale ist extrem spannend.

Ihre Figuren werden, wer Sie kennt, Ihnen direkt zugeordnet. Wie haben Sie es geschafft, einen eigenen, wieder erkennbaren Stil zu entwickeln?

Das ging relativ schnell. Ich habe angefangen, mit Schnüren und Kordeln zu arbeiten und Figuren um- und eingewickelt. Allerdings nicht als Fesseln, sondern ich habe mir Gedanken gemacht über Bindungen. Wir sind ja alle gebunden, und diese Bindungen, die wir haben, an andere Menschen, Verwandte und Freunde, fesseln uns ja (hoffentlich) nicht. Wir sind trotzdem alle noch beweglich und so sind auch meine Figuren gebunden, aber nicht gefesselt. Zudem sehen die Bindungen auch fast schon ein wenig aus, wie Adern. Sie sind auch letztendlich unsere Lebensadern. Wenn wir keine Bindung an niemanden hätten, dann wären wir auch nicht lebensfähig. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.

Das bedeutet, dass jedes Ihrer Kunstwerke ein Thema hat, über das der Betrachter nachdenken soll?

Auf jeden Fall. Es ist immer zuerst die Idee da. Ich mache nichts nach dem Motto stehender Mann oder stehende Frau. Das Hauptthema ist der Mensch. Wenn ich Mann und Frau machen würde, würde man sich sofort fragen: Warum ist das jetzt eine Frau? Warum ist das hier ein Mann? Es gibt zum Beispiel eine Arbeit von mir, wo zwei Figuren in einem Boot sitzen und paddeln. Wäre eine ein Mann, die andere eine Frau, würde sofort gefragt werden, wer sitzt vorne, wer hinten und wer bestimmt die Richtung. Das will ich nicht. Darum geht es nicht. Es geht um das Menschsein. Daher ist zuerst die Idee da, manchmal auch ein Gefühl. Es gibt eine Arbeit, die „Hoffnung“ heißt, eine die „Vertrauen“ heißt oder sie haben etwas mit den aktuellen Geschehnissen zu tun. Die neueste Arbeit, die jetzt im Oktober fertig geworden ist, von der ich vorhin erzählte, heißt „Spalter“. Es geht hier um Spaltung, was uns alle gerade beschäftigt. Die Idee ist vielleicht eher etwas Poetisches.

Kommen Sie in Austausch oder Dialog mit Menschen, die sich Ihre Skulpturen betrachten?

Ja, immer, wenn ich es ausstellen kann. Das ist auch cool. Meine Frau, die sehr weise ist, hat gesagt, ich soll aufhören meine Arbeiten zu erklären. (Er lacht.) Und damit hat sie auch Recht. Es ist nämlich sehr spannend, was die Leute darin sehen. Das ist manchmal ganz anders, als das, was ich dachte, als ich sie gemacht habe. Das Spannende ist aber, dass das auch genau da drin ist. Manchmal ahnt man und sieht man eine Richtung, die darin steckt. Ich bin auch schon gefragt worden: „Sind Sie religiös?“, weil man das sieht. Klar, bin ich. Aber ich möchte das nicht wie einen Bauchladen vor mir hertragen. Wenn man das in den Arbeiten sieht, ist das genau richtig. Ich hatte bei meiner ersten größeren Ausstellung in der Sparkasse in Worms eine Arbeit ausgestellt. Bei dieser steht eine Figur unter einer Glasglocke und ruft. Sie schreit förmlich. Die Arbeit heißt „Unerhört“. Eine Frau kam auf mich zu und sagte: „Als ich das sah, musste ich weinen.“ Da war ich erst erschrocken. Und dann sagte sie: „Mein Bruder ist psychisch krank und er erzählt, dass es ihm genauso geht.“ Das war der Hammer. Und solche Sachen erlebst du dann auch, wo du denkst, dass hätte ich besser nicht machen sollen. Aber die Frau hat das so berührt. – Oder eine Arbeit, wo auf einer alten Sichel eine Figur sitzt und Flöte spielt. Es sieht fast aus, als säße sie auf einem Mond. Diese Arbeit war zum Aufhängen gemacht und hieß „Alles hat seine Zeit“. Das war die erste verkaufte Arbeit überhaupt auf der Ausstellung in der Sparkasse. Diese hat ein Mann für seine Frau gekauft, die krebskrank war. Er sagte, zu – erst hätte sie eine andere haben wollen. Aber sie hat dann „Alles hat seine Zeit“ haben wollen: „Jetzt ist die Zeit das Leben zu genießen, solange es noch geht.“ So etwas passiert dann auch. Das ist natürlich fantastisch. Nicht fantastisch, dass die arme Frau krank ist, aber, dass so eine Arbeit einen anderen Menschen so bewegen kann. Das Ziel für mich wäre, wenn sich jemand meine Arbeit hinstellt und immer, wenn er daran vorbeiläuft, ein bisschen nachdenken muss. Das wäre schön. Oder, dass er sich freut – immer, wenn er sie sieht. Und das funktioniert schon. Ich bin da selbst verblüfft. So gesehen macht das Spaß.

Fließt das kreative Schaffen unentwegt?

Während Corona war das wie ein Stock in den Speichen. Da war ja nichts mit Ausstellungen und die Galerie hat nichts verkauft. Ende Februar, Anfang März werde ich nochmal nach Osnabrück fahren und mal schauen. Eine Arbeit hätte ich gerne bei der Ausstellung in Mainz, wenn sie sie bis dahin nicht verkaufen. Ja und das Corona war das Ding, was mich ziemlich ausgebremst hat. Das hörte ich auch von Kolleginnen und Kollegen. Ich habe da wenig gemacht. Es gibt Jahre, da habe ich jeweils zehn, zwölf Skulpturen gemacht und jetzt habe ich in den letzten drei Jahren vielleicht fünf gemacht. Es fehlte dieser Ansporn. Ich machte sie quasi, um sie nachher zu verpacken und auf den Speicher zu stellen. Ganz davon abgesehen, dass nichts verkauft wird. Es geht nicht um den Verkauf. Immerhin muss ich nicht davon leben. Man freut sich natürlich schon, wenn jemandem die Arbeit so viel wert ist, dass er bereit ist dafür Geld zu zahlen.

Wo kommt Kreativität her? Spielt es hier eine Rolle, wie es in Ihnen aussieht?

Ja, das schon. Am Anfang der Coronaphase habe ich innerhalb von einem Jahr drei Skizzenbücher vollgekritzelt und habe das so verarbeitet, was aber nicht für die Öffentlichkeit war. Die Skulpturen hingegen – das war wie eine Lähmung. Seit Sommer letzten Jahres ging es dann besser, da auch die Ausstellung in Bürstadt anstand und dafür wollte ich unbedingt etwas fertighaben. „Der Spalter“ dauerte so ungefähr anderthalb Jahre, weil er auch immer mal wieder herumstand und ich nichts daran machen konnte. Ab Juni stand fest, dass ich mit dabei bin und das hat dafür gesorgt, dass ich damit fertig werden wollte. Ich merkte, dass ich diesen Druck wohl auch ein bisschen brauche. So wie jetzt auch die Ausstellung in Mainz im Eisenturm. Obwohl ich dafür eigentlich nichts mehr machen muss, habe ich dadurch den Ansporn weiterzumachen. Ich habe noch ein paar kleinere Sachen, die ich dann eventuell der Galerie in Osnabrück zum Austauschen mitbringe.

Da fällt mir ein, in der Coronazeit war doch noch etwas. 2021 war in Schornsheim „Mo/ve/ments“. Das war ein Kunst-Wein-Wanderweg in den Weinbergen. Man konnte sich in Schornsheim als Künstler bewerben und da durfte ich auch mitmachen. Auch für dieses Jahr habe ich mich wieder dort beworben. Das ist zum Beispiel so eine Sache, wo es sofort im Kopf zu rotieren beginnt: Was könnte ich da machen? Ich habe auch schon eine Idee.

Wir dürfen gespannt sein! Wer mehr über Kunst und Künstler erfahren möchte, findet Informationen und Bilder auf: https://ruehl-sculpture.blogspot.com und auf Instagram unter rainer.e.ruehl.

Die Ausstellung im Kunstverein Eisenturm Mainz läuft in der Reihe KUNST3 mit Regina Geißler, Philipp Nickel, Rainer E. Rühl und ist vom 17. März bis 10. April 2023 im Eisenturm in Mainz, Fritz-Arens-Platz 1, 55116 Mainz zu sehen.

Text: © Sissi Steuerwald
Bilder: © Achim Bartmann; Rühl