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Straßenbauarbeiten …

… können zu einer misslichen Angelegenheit werden, insbesondere für die angrenzenden Gebäudeeigentümer

Wir alle freuen uns über Straßen und Bürgersteige ohne Löcher, Stolperstellen o.ä. sowie einen funktionierenden Kanal, Leitungen etc. Um diesen Zustand zu erhalten, bedarf es von Zeit zu Zeit der Erneuerung, was heißt:

Die Straßendecke muss geöffnet, die Arbeiten im Untergrund durchgeführt und sodann die Straßendecke wieder verschlossen werden. Diese Arbeiten bergen hohe Risiken, insbesondere für die angrenzenden Gebäude. Mängel der Bauarbeiten und insbesondere Schäden an Nachbargebäuden zählen zum Baualltag und, wollte man Schäden an Nachbargebäuden gänzlich vermeiden, müsste jede Bautätigkeit verboten sein, was natürlich lebensfremd ist. Ganz klar muss man sagen, dass manche Schäden an Nachbargebäuden auch bei bestmöglicher Aufmerksamkeit nicht zu vermeiden sind, wenn sie systembedingt auftreten. Man spricht vom „Systemrisiko“.

Der Begriff „Systemrisiko“ setzt sich aus den Worten „System“ und „Risiko“ zusammen. Das hier gemeinte System meint ein aus mehreren Komponenten bestehendes Ganzes, wie etwa die Herstellung der Straße, in Wechselwirkung zur Umgebung. Es meint das Risiko, dass bei der Herstellung von Tiefbauwerken niemals sämtliche naturwissenschaftlichen Reaktionen des zur Anwendung gelangenden Bausystems wie etwa eine Baugrubensicherung oder eine Hochdruckinjektion mit absoluter Sicherheit vorausberechnet werden und deshalb trotz bestmöglicher Vorgaben und optimaler Ausführung Mängel und Schäden auftreten können.

Bei den Bauarbeiten werden für die Verdichtung des Bodens Rüttelplatten, sogenannte „Rüttler“, eingesetzt. Sie sind im Inneren mit einer Unwucht ausgestattet und setzen somit Vibrationen frei, wodurch der Boden in Bewegung gerät, Luft entweicht und der Boden sich dichter lagern kann. Ihr Einsatz ist mit Erschütterungen verbunden. Erschütterungen können Setzungen und Risse an angrenzenden Gebäuden verursachen. Wer ersetzt den Gebäudeeigentümern ihren Schaden? Die Firma, welche die Bauarbeiten ausführte? Die Kommune, welche die Arbeiten beauftragte? Der planende Architekt? Der mit der Bauaufsicht beauftragte? Alle zusammen?

Für die juristische Bewertung ist es relativ unproblematisch, wenn die die Bauarbeiten durchführende Firma mangelhaft gearbeitet und/oder wenn nicht alle Prüfungs- und Hinweispflichten von den Baubeteiligten erfüllt wurden. In Betracht kommen zum Beispiel ein Arbeiten nicht nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik, eine unzureichende Ausschreibung, unzureichende Erkundung der Boden- und Wasserverhältnisse, notwendige Bedingungen und Hinweise seitens des Auftragnehmers wurden von diesem nicht gemacht. Nach der bisherigen Rechtsprechung trifft in den meisten Fällen die ganze oder überwiegende Verantwortung den Bauunternehmer, wenn er bei gebotener Prüfung die Verwirklichung hätte verhindern können, denn, so die Gerichte, von einem Fachmann könne die Überprüfung der Ausschreibung auf ins Auge springende Fehler und Lücken und eine den Regeln der Technik entsprechende Ausführung bzw. rechtzeitige Bedenkenmitteilung beim Antreffen anderer Baugrundverhältnisse, als geschrieben, erwartet werden.

Wie aber, wenn trotz bestmöglicher, den Regeln der Technik entsprechender Erkundung der Baugrundverhältnisse und trotz Erfüllung aller Prüfungs- und Hinweispflichten der Beteiligten sich während der Ausführung der Tiefbauarbeiten der vorgefundene Zustand der Boden- und Wasserverhältnisse von den vorgestellten, erkundeten Verhältnissen – z. B. weil ein Bodengutachten eingeholt wurde –, abweicht, sich also das oben skizzierte Systemrisiko verwirklicht?

Die Anspruchsgrundlagen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) für Schäden am Eigentum eines anderen, §§ 823ff. BGB, scheiden aus, weil es in diesen Fällen am sogenannten „Verschulden“ fehlt. Ist daraus nun zu folgern, dass der geschädigte Gebäudeeigentümer, wenn sich in den Setzungen und Rissen an seinem Gebäude das Systemrisiko verwirklicht, auf seinem Schaden sitzen bleibt? Es ist ganz klar: Der Schaden der geschädigten Gebäudeeigentümer ist diesen zu ersetzen.

Der Auftraggeber haftet nach einer sogenannten „verschuldensunabhängigen Haftung“. Diese Grundsätze wurden von der Rechtsprechung und Lehre entwickelt. Bei hoheitlichem Handeln haben die geschädigten Gebäudeeigentümer Ansprüche nach dem Rechtsinstitut des sogenannten „enteignungsgleichen Eingriffs“ gemäß Art. 14 Abs. 3 GG.

Das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs geht zurück auf den allgemeinen Aufopferungsgedanken der §§74, 75 Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 (EALR):

  • 74: Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staates müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Collision) eintritt, nachstehen.
  • 75: Dagegen ist der Staat demjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten. Der enteignungsgleiche Eingriff, zu Zeiten des EALR noch als „Aufopferung“ bezeichnet, dient dazu, einen Ausgleich für nicht absehbare rechtswidrige Maßnahmen oder unvorhergesehene Nebenfolgen einer rechtmäßigen Maßnahme zu gewähren.

Text: © Anke Knorpp
Bild: © Christian Brinkmann
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