„Behindert ist nur der, der sich selbst behindert“
Erfolgreich im Dressurreiten mit Handicap und bis zu den Paralympics, bei denen sie seit 2000 Medaillen nachhause bringt, schaffte es Hannelore „Hanne“ Brenner. Wir durften die Reiterin im schönen Wachenheim im Zellertal besuchen, wo sie mittlerweile mit ihrer Frau Dorte Christensen, die gleichzeitig auch ihre Beraterin und Trainerin ist, ihren Hunden und Pferden lebt. Hanne Brenner erzählt uns bei einem Besuch mehr über sich, ihre Erfolge und ihren Verein: die „Kleinen Glücksritter“.
Ihre Liebe zum Pferd haben Sie schon früh entdeckt. Was macht das Reiten und die Arbeit mit Pferden so besonders?
Ja, als Kind hat mich das schon fasziniert! Dieser erste Eindruck: Die Harmonie zwischen Pferd und Reiter. Wenn jemand übers Feld galoppierte, dachte ich „Wahnsinn!“. Das hat mich so gefesselt! Es hat lange gedauert, bis ich zum ersten Mal selbst reiten durfte. Aber dann war ich vollkommen fasziniert. Ich glaube das ist ein Gen, das man hat, oder nicht hat. Und ich habe es.
Auch nach meinem Unfall habe ich versucht, wieder zu reiten. Das ging nicht so, wie ich wollte, weil mein Körper einfach anders war. Natürlich war ich dann frustriert. Aber ich bin immer dabeigeblieben und saß zumindest einmal in der Woche auf dem Pferd einer Freundin. Aufhören konnte ich nie wirklich. Als ich von Lüneburg nach Heidelberg gezogen bin, habe ich mich direkt auf die Suche nach einem Reitstall gemacht. Seitdem bin ich wieder voll am Reiten und 1998 wieder in den Sport gegangen.
Mit 23 Jahren stürzten Sie bei einer Vielseitigkeitsprüfung schwer vom Pferd, sodass ein Lendenwirbel brach und Sie seitdem inkomplett querschnittsgelähmt sind. Das heißt, nur ein Teil der Nerven im Rückenmark wurde zerstört und Sie können noch mit Hilfe von Stöcken und Schienen bzw. Spezialschuhen laufen. Wie hat sich Ihr Leben danach verändert? Was ist Ihnen damals durch den Kopf gegangen?
Es ist schwierig zu sagen. In dem Moment weiß man gar nicht, was vor einem liegt oder was passiert ist. Mit Querschnittlähmung hat man sich eigentlich nie befasst. Ich kannte niemanden in der Familie oder im Freundeskreis. Insofern ist es ganz gut, dass man immer nur scheibchenweise mitbekommt, was das bedeutet. Ich glaube, wenn man von vorneherein das ganze Paket weiß, dann ist man schon mal fertig. Das war es in dem Maße bei mir zum Glück nicht.
Die ersten Wochen oder Monate waren wirklich schlimm. Man liegt nur, wird gedreht und kann gar nichts machen. Aber sobald ich in den Rollstuhl kam und selbst herumfahren konnte, wurde es besser. Ich habe eine tolle Clique kennengelernt. Das war dann eine völlig andere Geschichte. Wir haben zusammen gefrühstückt und uns immer wieder getroffen. Da merkte ich schon, dass nicht alles vorbei ist. Auch wenn man Rollen statt Füßen hat, ist das Leben lebenswert und man kann noch ganz viel machen! Das war schon der erste Schritt. Zuhause kamen dann neue Schwierigkeiten, die einen schon nochmal frustrieren. Aber auch das geht, wenn man seinen Weg findet. Nach Heidelberg zu gehen, war dann der größte Schritt für mich. Das war drei Jahre später und ich glaube das Beste, was mir passieren konnte. Hier habe ich einen Schnitt zu meinem vorherigen Leben gemacht und konnte neu anfangen.
Hatten Sie Angst wieder auf ein Pferd zu steigen?
Erstmal nicht. Der Unfall passierte, weil ich falsch reagiert hatte. Ich hatte damals ein junges Pferd. Einen Vertrauensverlust hatte ich also nie und bin ohne Probleme wieder aufs Pferd gestiegen. Danach merkte ich aber schon, dass ich nicht so wirklich weiterkomme, denn ich konnte mich nicht so richtig durchsetzen. Das Pferd merkt das dann natürlich auch. Die Komplikation mit diesem Pferd erledigte sich leider ein Jahr später, als er eingeschläfert wurde. Bei anderen Pferden, die ich geritten bin, hatte ich danach eigentlich auch nie Angst. Die Angst hat mich erst eine ganze Weile später beschlichen. 1999 müsste das gewesen sein. Damals hatte ich ein junges Pferd, von dem ich ein paar Mal richtig blöd runtergefallen bin. Da habe ich das erste Mal mit dieser Angst zu tun gehabt, die mich auch jetzt ab und an noch beschäftigt. Ich bekomme schon mal Panik, wenn ich das Gefühl habe, dass eine Situation kommt, die ich nicht kontrollieren kann.
Und wie kann man sich das Reiten mit Handicap vorstellen?
Eigentlich genauso wie das Reiten ohne Handicap. Letztendlich wird das Pferd beurteilt und muss so gehen wie man es möchte. Es muss vor allem losgelassen gehen. Von meiner Frau und auch Trainerin habe ich da viel mitbekommen. Sie hat mir zum ersten Mal gesagt, dass man nicht so viel machen muss und locker bleiben soll. Dadurch habe ich erstmal gemerkt, dass ich doch viel mehr Einwirkung habe, als ich eigentlich dachte. Es gibt eben auch Pferde, die das einfach annehmen. Genauso wie es Pferde gibt, die auch eine stärkere Einwirkung nicht annehmen. Es ist notwendig, dass man ein sensibles Pferd hat. Dann funktioniert eine ganze Menge mehr.
Das Reiten mit Handicap ist somit eigentlich nicht viel anders. Ich denke immer, beim Reiten hat jeder ein Handicap. Einer macht immer den Kopf runter, der andere hängt immer zur Seite, … Und damit muss sich jeder auseinandersetzen. Ich hatte auch schon Maschen, bei denen ich gedacht habe: „Das kann ich nicht.“ Dorte sagt dann immer: „Ja und? Kannst du dir dafür was kaufen? Du willst doch da hin, also durch da!“ Ich glaube das ist genau der richtige Weg.
Was hat Sie Ihrer Meinung nach so erfolgreich gemacht?
Ich denke eine gewisse Grunderfahrung. Bestimmt auch ein bisschen Talent. Anfangs hatte ich schon einiges an Erfolgen. Die waren, glaube ich, auch dem geschuldet, dass der Parasport damals erst im Anfang und Aufbau war. Ein Riesenglück hatte ich, als ich meine Wunderstute „Women of the World“ und ein Jahr später Dorte gefunden habe. Dieses Dreiergespann hat, glaube ich, die unglaublichen Erfolge in dieser Dichte – also jedes Jahr immer die gleichen Erfolge – eingebracht. Das war schon Irre! Das hätte ich sonst wahrscheinlich nicht gehabt.
Was sind Ihre aktuellen Ziele? Sind die Paralympics 2024 in Paris schon in Aussicht?
Das wäre schön, aber der Sport hat sich sehr weiter entwickelt. Das ist einfach so. Ich habe schon lange ein ganz tolles Pferd. Es hat auch eine Weile gedauert, bis wir dahin gekommen sind, wo wir jetzt stehen. Die Paralympics sind schon das Ziel, aber es wird verdammt schwierig. Die Pferde sind inzwischen unbezahlbar und dementsprechend gut geworden. Auch die anderen Länder haben unheimlich tolle Pferde und auch Reiter. Insofern ist es wirklich schwierig, da irgendwas zu sagen. Wir haben auch in Deutschland wieder sehr gute Paare dazu bekommen. Da muss man einfach abwarten. Ich werde meinen Weg weiterverfolgen und dann schauen wir mal, wo wir hinkommen.
Ein Ende der Reitkarriere ist also noch nicht in Sicht?
Nein, im Moment nicht. Es klappt momentan auch wirklich sehr gut. Sowohl mit der Stute als auch mit meinem Reiten. Nach den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro hatte ich einen Tiefpunkt. Dafür hatte ich mich noch mit einem Nachwuchspferd qualifiziert. Doch einen Tag vor Abflug hatte er ein dickes Bein. Ganz tolles Timing… Danach war die Zeit echt schwierig. Aber jetzt habe ich wieder richtig Spaß am Reiten! Es funktioniert auch richtig gut und insofern wäre es blöd, jetzt aufzuhören.
Sie haben auch den Verein Kleine Glücksritter gegründet. Können Sie uns und unseren Lesern mehr darüber erzählen?
Es fing an mit einem Treffen, das von einer Bekannten initiiert wurde, die im Odenwald geritten ist. Dort war ein Mädchen, das immer zum Reiten von einem Pferd kam und schwer krebskrank war. Das war im März 2012. Das Mädchen hatte den Wunsch geäußert, dass sie gerne mal mit mir trainieren möchte. Normalerweise mache ich gar kein Training. Aber das war eine spezielle Geschichte. Ich dachte, es geht ja eigentlich nicht um das Training, sondern um das Treffen und bin dort hingefahren. Als ich ankam, saß sie schon auf dem Pferd und hat einfach nur gestrahlt. Sie war völlig glücklich und ist getrabt und galoppiert. Durch ihre lange Krebserkrankung hatte sie schon einiges an Handicap. Im Januar war sie austherapiert gewesen. Es war schon eine schreckliche Situation. Mich hat es trotz allem so fasziniert, was für eine Lebensfreude dieses Mädchen hatte.
Das habe ich auch Freunden erzählt. Ich dachte mir, dass man es doch irgendwie hinkriegen müsste, dass solche Kinder, wenn sie wollen, immer zum Pferd kommen und immer diese Momente erleben können, die sie von ihrer Krankheit ablenken. Ein Freund von mir ist drangeblieben und inzwischen auch unser Geschäftsführer. Ich habe ein kleines Konzept erstellt und dann ging die Vereinsgründung relativ schnell. Die Kleinen Glücksritter laufen jetzt schon seit 2013 wirklich gut. Zwar keine tausende, aber sehr viele Kinder über ganz Deutschland verteilt, konnten wir vermitteln. Inzwischen auch traumatisierte Kinder und Kinder aus Frauenhäusern. Wir schauen dabei sehr genau hin, finanzieren zehn bis zwölf Reitstunden oder -kontakte und bezahlen auch die Fahrtkosten für die Eltern. Gerade, weil die Eltern in der Zeit oft aufhören zu arbeiten, um für das Kind da zu sein, ist finanziell meist nicht viel da.
Wie kann man sich denn engagieren, helfen oder spenden?
Wir haben eine Webseite: www.kleine-gluecksritter.de. Dort findet man ein Spendenformular. Natürlich freuen wir uns auch über neue Mitglieder. Und wenn man denkt, dass man ein geeignetes Pferd hat, kann man sich auch gerne melden. Das würden wir dann in einer Datei aufnehmen und wenn sich in der Nähe ein Kind meldet, Kontakt aufnehmen. Momentan stehen wir auch finanziell ganz schön unter Druck, weil die Spendenbereitschaft zurückgegangen ist und wir haben keine großen Einnahmen mehr hatten. Momentan sind große Aktionen, die wir eigentlich jedes Jahr hatten, ausgefallen. Daher freuen wir uns über jegliche Unterstützung!
Text: © Jessica Bömicke
Bilder: © Silke Rottermann, Uta Helkenberg